Wie Städte und ihre Menschen sich neu erfinden
Sonderausstellung „Tales of Transformation“ im Industriemuseum Chemnitz zeigt den Wandel in der Stadt im Vergleich zu fünf anderen industriellen Hotspots in Europa und streift dabei auch die TU Chemnitz
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Bezüge zur TU Chemnitz sind in der Sonderausstellung „Tales of Transformation“ leicht zu erkennen. Foto: Industriemuseum Chemnitz/Dirk Hanus
Von Chemnitz, dem „sächsisches Manchester“, aus verbreitete sich im 19. Jahrhundert die industrielle Produktion in ganz Sachsen. Die Stadt blieb auch zu DDR-Zeiten Herz der Industriearbeit. Doch im Zuge der Wende 1989 kam es zu radikalen Einbrüchen, Industrieanlagen standen still, die Stadt und ihre Menschen waren gezwungen, die Krisen zu meistern und sich neu zu erfinden. Ähnliche Veränderungen erlebten auch andere industrieller Hotspots in Europa: das französische Mulhouse, das finnische Tampere, das bulgarische Gabrovo sowie das polnische Łódź und Manchester in Nordengland. Die Sonderausstellung „Tales of Transformation“ im Industriemuseum Chemnitz, Zwickauer Straße 119, erzählt bis 16. November 2025 von der wechselhaften Entwicklung dieser Städte und von den Menschen, die heute dort arbeiten, wohnen oder kreativ sind, wo früher Maschinenlärm und rauchende Schlote das Stadtbild prägten. In der Sonderschau zum Kulturhauptstadtjahr wird auch gezeigt, wie man dort mit dem industriekulturellen Erbe umgeht, welche Ideen die Städte für ihre Zukunft haben und was man voneinander lernen kann.
Aktienspinnerei wurde zum Wissensspeicher
Ein herausragendes Beispiel einer gelungenen Transformation ist die Entwicklung der ehemaligen Aktienspinnerei hin zur Universitätsbibliothek der Technischen Universität Chemnitz, auf die in der Ausstellung anschaulich verwiesen wird. Die im Baustil des historischen Eklektizismus errichtete Aktienspinnerei entstand um 1858 infolge der Gründung einer Aktiengesellschaft als damals größte Spinnerei Sachsens mit 60.000 Spindeln. Das Gebäude galt damals als eines der modernsten und innovativsten Industriebauten. Der Betrieb verfügte von Beginn an über einen eigenen Bahnanschluss, über den die Spinnerei mit den notwendigen Rohstoffen, wie Baumwolle und den Brennstoffen für Heizung und Dampfantrieb, versorgt wurde. Ende des 19. Jahrhunderts, Chemnitz war mittlerweile zur Großstadt geworden, verlagerte die Geschäftsführung der Aktienspinnerei den Betrieb aus Platzgründen nach Altchemnitz und verkaufte das Gebäude 1899 an die Stadt Chemnitz. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude der „Alten Aktienspinnerei“ schwer beschädigt und verlor sein Dach und das oberste Geschoss. In der Folge wurde das Gebäude auch als Essenausgabe, Provisorium für das zerstörte Opernhaus, Wismut-Kaufhaus, Stadtbibliothek, Bürohaus und Puppentheater und zuletzt als Galerie genutzt. Seit 2011 ist das Gebäude Eigentum des Freistaates Sachsen. Mitte 2015 begann der Umbau zur Universitätsbibliothek der TU Chemnitz, ab Juni 2020 konnten die bisherigen drei Bibliotheksstandorte und deren Magazine im Gebäude der „Alten Aktienspinnerei“ zusammengelegt werden. 38 Kilometer Bibliotheks- und Archivgut können seitdem von Studierenden, Forscherinnen und Forschern sowie weiteren Interessierten an über 700 Arbeitsplätzen in zentraler Lage eingesehen werden, ergänzt von einer wachsenden Zahl digitaler Medien. 2022 erhielt die Universitätsbibliothek den Deutschen Hochschulbaupreis für "vorbildlichen Umgang mit historischer Bausubstanz".
Erfolgreiche Transformation durch Innovation
In der Sonderausstellung „Tales of Transformation“ gezeigt wird auch eine große Bandbreite industrieller Innovationen deer Forschungscluster MERGE der TU Chemnitz setzt beispielsweise mit einem neuartigen E-Bike Impulse in der Zweiradproduktion. In Zusammenarbeit mit dem industriellen Partner CIP Mobility GmbH (mocci) in Grünwald und dem Steinbeis-Forschungszentrum Automation, Leichtbau und Prozesstechnik (ALP) in Chemnitz entwickeln die Forscher ein Smart Pedal Vehicle (SPV), das ohne Kettenantrieb und Verschleißteile auskommt, was seine Langlebigkeit erhöht. Dieses E-Bike wird in der Ausstellung gezeigt.
Erzählt wird auch die Erfolgsgeschichte von Novajet, einer der zahlreichen Ausgründungen der TU Chemnitz, die 2019 nach über einem Jahrzehnt Forschung im Bereich Wasserstrahlschneiden aus der Professur Produktionssysteme und -prozesse heraus den Sprung in die Selbstständigkeit wagte. Unterstützt wurde das Unternehmen bis zur Gründung durch das Gründungsnetzwerk SAXEED an der TU Chemnitz. Im Anschluss bot das Technologie Centrum Chemnitz Hilfe für den erfolgreichen Markteintritt.
Making the City: Transformative Processes in (Post)Industrial Urban Spaces
Eine wesentliche Grundlage für die Sonderaussstellung “Tales of Transformation: Chemnitz – Gabrovo – Łódź – Manchester – Mulhouse – Tampere” ist die vorangegangene Stadtforschung an der TU Chemnitz zum Thema „Making the City: Transformative Processes in (Post)Industrial Urban Spaces“. Ein von Prof. Dr. Cecile Sandten, Inhaberin der Professur Anglistische Literaturwissenschaft, im Dezember 2024 herausgegebener gleichnamiger Sammelband, geht auf die internationale, von der Deitschen Forschungsgemeinschaft geförderten Konferenz zurück, die 2023 an der TU Chemnitz stattfand und als wissenschaftliche Grundlage für die Sonderausstellung gilt.
Öffnungszeiten der Ausstellung: Dienstag bis Freitag: 9 bis 17 Uhr, Samstag, Sonntag, Feiertag: 10 bis 17 Uhr (Eintrittspreise: 10 Euro, ermäßigt 8 Euro, Eintritt frei für Schüler, Studierende der TU Chemnitz & für alle bis 18 Jahre)
Mario Steinebach
30.04.2025